Bildgebung bei Multipler Sklerose


Hirnvolumetrie bei Multipler Sklerose - Wozu?

 MS ist eine progressive (fortschreitende) neurologische Störung, die sowohl zu physischen (körperlichen) als auch zu neurokognitiven  (geistigen) Schädigungen führen kann. Es wird geschätzt, dass etwa 2,5 Millionen Menschen weltweit darunter leiden. Die Krankheit beginnt typischerweise im frühen Erwachsenenalter mit einer sehr variablen Prognose. Das Gehirn wird durch das körpereigene Immunsystem angegriffen und teilweise beschädigt. Dies führt zu zerebralen Veränderungen, die zu einem vermehrten Abbau von Hirnsubstanz im Vergleich zu gesunden Menschen führen, man spricht von einer sogenannten Hirnatrophie.

 

 

 

MS im MRT - weiße Flecken im Hirn

Die Magnetresonanztomographie (MRT) wird schon seit langer Zeit zur Diagnose und zur Verlaufskontrolle bei bestehender MS verwendet. Die multiple Sklerose wird seit langem als primäre Krankheit der weißen Substanz ("der Faserbahnen des Gehirns") des ZNS eingestuft. Schwerpunkte der Schädigung (sog. Demyelinisierung)  in der weißen Substanz werden leicht mittels MRT als "weiße Flecken" visualisiert und bleiben ein Kennzeichen der Krankheit. Neuere pathologische Studien stellten jedoch fest, dass die graue Substanz ("die Nervenzellen selbst") ebenfalls betroffen ist und dies eine wichtige Komponente aller durch MS verursachten Schäden zu sein scheint (1).

 

Herkömmliche MRT-Techniken unter Verwendung von Markern wie T2-hyperintensen Läsionen ("weißen Flecken") und kontrastmittelaufnehmenden Läsionen sind heute in der klinischen Praxis der Diagnose und Follow-up der MS weit verbreitet. Insbesondere neue kontrastmittelaufnehmende Herde werden dabei als gute Marker für klinische Rückfälle/neue Schübe angesehen. Der Nutzen dieser Marker bei der Vorhersage des Fortschreitens der Krankheit bei MS ist jedoch begrenzt. Die klinische Verschlechterung ist nicht eindeutig mit diesen entzündlichen Läsionen verbunden, sondern vielmehr mit einer fortschreitenden und diffusen Atrophie des Hirns (2).

 

Moderne MRT Bildgebung bei MS - mehr als nur Flecken zählen

Obwohl die hyperintensen Läsionen in der T2-gewichteten MRT ("weiße Flecken") ein wichtiges diagnostisches Kriterium bleiben, gibt es zunehmend Hinweise darauf, dass das Ausmaß der klinischen Behinderung nicht mit der Anzahl der Herde korreliert. Nervenzellen verlaufen faserartig durch das gesamte Hirn. Erleidet ein Teil einer solchen Faser einen Schaden, wird die gesamte Faser und Nervenzelle geschädigt oder geht zugrunde. Es resultiert ein Rückgang von Hirnsubstanz, eine Hirnatrophie. Das Ausmaß des gesamten Schadens an Faserbahnen und Nervenzellen, die zu einer Hirnatrophie führen, zeigt eine starke Korrelation mit dem klinischen Zustand (3-6). Eine Messung des Ausmaßes der Hirnatrohie ist daher wesentlich besser zur Beurteilung des Zustandes des Patienten geeignet, als das bloße Zählen von Flecken. Jüngste Erkenntnisse zeigen, dass axonale Verluste ("Schäden an Faserbahnen") und Funktionsstörungen sehr früh im Verlauf der Krankheit auftreten und in allen Stadien der Krankheit erkennbar sind (7).
Es gibt immer mehr Hinweise darauf, dass auch kortikale Veränderungen sich bereits früh in der Krankheit entwickeln. Aufgrund von Kompensationsmechanismen von benachbarten Nervenzellen können MS-bedingte Hirnschäden in der Frühphase der Krankheit unbemerkt auftreten und lange Zeit nicht diagnostiziert und unbehandelt bleiben (8).

 

Eine Hirnatrophie ist nicht nur innerhalb der Herde, sondern auch in normal erscheinendem Hirn zu beobachten, wo es wahrscheinlich sekundär zu fortgeleiteten Schäden (z. B. durch sogenannte "wallerische Degeneration")  kommt (3).
Aus diesem Grund ist in den letzten zehn Jahren die Hirnatrophie einer der wichtigsten Indikatoren der Neurodegeneration und des klinischen Fortschreitens der Erkrankung geworden. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass das Atrophieausmaß direkt mit Behinderungsindizes und der kognitiven Leistung bei MS-Patienten korreliert (9-10). Diffuser Gewebeverlust in normal erscheinendem Hirngewebe kann dabei exakt und reproduzierbar mit einer quantitativen MRT-Messung überwacht werden.
Aktuelle volumetrische MRT-Techniken können das gesamte Gehirnvolumen sehr exakt vermessen. Diese präzisen quantitativen Informationen haben ein erhebliches Potenzial zur Bewertung der Krankheitsaktivität und der folgenden Therapie. Die MRT-Volumetrie ist wegen ihrer hohen Empfindlichkeit und Spezifität heute ein klinisch relevanter Bestandteil der Krankheitsbewertung. Sie ermöglicht eine Beurteilung sowohl des Gesamtgehirnvolumens als auch das Volumen einzelner bestimmter Hirnlappen und Gyri. Im Allgemeinen wird z. B. die Atrophie des Gesamthirns als ein guter Prädiktor (Voraussagewert) für die langfristige klinische Entwicklung einer Behinderung in allen Stadien der MS angesehen (11).
Moderne Magnetresonanztechniken bieten dabei eine objektive und direkte Bewertung der sich entwickelnden Pathologie der MS. Dies ist neben der Überwachung von MS Patienten auch ein wichtiger Punkt auch für klinische Studien mit neuen Wirkstoffen zur Verhinderung von Behinderungen.
Messung der Hirnatrophie mittels MRT - komplizierte Technik, einige Stolpersteine
Automatisierte voxelbasierte Verfahren stellen den neuesten Entwicklungsschritt in der MRT Bildgebung und Nachverarbeitung dar, sie benötigen eine sehr ausgereifte und komplizierte Computersoftware und MRT Technik, stellen jedoch dann eine robuste und zuverlässige Methode zur Erkennung von Strukturveränderungen des Gehirns dar. Damit optimale Ergebnisse erzielt werden können, sind jedoch einige Faktoren zu beachten:
Zunächst wird ein moderner MRT Scanner benötigt, der in erträglicher Zeit eine möglicht genaue Abtastung des Gehirns ermöglicht. Für möglichst genaue Verlaufskontrollen wird zudem empfohlen, immer das gleiche MRT Gerät und immer die gleichen MRT Sequenzen zu verwenden, um selbst kleinste Schwankungen auszugleichen.
Im Verlauf der Erkrankung kann es zu Faktoren kommen, die eine mögliche Hirnatrophie verschleiern oder scheinbar verstärken, so kann in einer akuten Entzündungsphase (starker Schub) das Hirn gering anschwellen, eine Cortisontherapie auf der anderen Seite kann eine Atrophie vortäuschen, da dies zu einem leicht vermehrtem Abschwellen des Hirns führen kann.
Zudem spielen auch einige Faktoren des Patienten selbst eine Rolle, z. B. der Hydrierungszustand ("die Menge des im Körper eingelagerten Wassers") des Patienten oder die Phase des Menstruationszyklus von Frauen.

 

Wir sind sehr froh darüber, ihnen in unserer Praxis ein Verfahren zur Hirnvolumetrie anbieten zu können, welches erst in sehr wenigen Praxen in Deutschland verwendet wird und welches bislang fast ausschließlich in großen Spezialkliniken  für Studienuntersuchungen zum Einsatz kam.
Das System entspricht dem neuesten Stand der Technik und ist selbstverständlich ein in Deutschland geprüftes Medizinprodukt, es basiert auf einer Auswertung mittels künstlicher Intelligenz und liefert hochpräzise Ergebnisse. In Zusammenschau mit den natürlich gleichzeitig erstellten herkömmlichen MRT Bildern sind wir so im Stande, ihnen eine wesentlich präzisere Aussage über den Zustand und bei Verlaufskontrollen auch über eine mögliche zukünftige Entwicklung ihrer Erkrankung zu liefern. Die Untersuchung läuft dabei genauso ab, wie eine normale MRT Untersuchung, Kontrastmittel ist nicht erforderlich, kann in einigen wenigen Fällen jedoch zusätzlich sinnvoll sein.
Wir haben basierend auf neuesten Studienerkenntnissen der MS Diagnostik einen Untersuchungsablauf in unserer Praxis etabliert, der für sie insgesamt mit nahezu keinem zeitlichen Mehraufwand verbunden ist, während für sie ein großer zusätzlicher Nutzen resultiert, da wir erstmalig nun zum einen den momentanen Zustand ihres Hirns genauer beurteilen können und nach einer Verlaufskontrolle erstmalig auch eine Aussage zu ihrer weiteren Prognose treffen können.
Die aktuelle Studienlage deutet darauf hin, dass eine Volumenmessung des Hirns in Zukunft voraussichtlich ein Routinebaustein in der Beurteilung werden wird. Leider ist zur Untersuchung zur Zeit die Benutzung einer kostenpflichtigen Computersoftware erforderlich. Diese Gebühren werden von vielen Krankenkassen momentan noch nicht übernommen, daher müssen wir diese leider an sie weiterreichen. Für privatversicherte Patienten fällt keine weitere Gebühr an.
Wir halten den zusätzlichen Nutzen der Volumetrie in der Beurteilung der multiplen Sklerose trotz ggf. entstehender Kosten für so relevant, dass wir ihnen die Methode nicht vorenthalten möchten. Ein kontinuierlich schleichender Rückgang von Hirnsubstanz lässt sich über einen langen Zeitraum weder klinisch noch in der herkömmlichen MRT Untersuchung erfassen, so kann es zu einer lange unbemerkten, letztlich unnötigen, jedoch nicht mehr reparablen Verschlechterung des Gesundheitszustandes kommen.

Wenn sie sich als MS Patient in unserer Praxis vorstellen, werden wir sie zu diesem Thema weiter beraten, selbstverständlich ist auch eine herkömmliche MRT Untersuchung wie bislang ohne zusätzlich entstehende Kosten unproblematisch möglich, sie haben in jedem Falle das letzte Wort.

 

Quellen:


(1) Popescu V, Klaver R, Versteeg A, et al. Postmortem validation of MRI cortical volume measurements in MS. Hum Brain Mapp. 2016;37(6): 2223–2233.
(2) Morgen K, Sammer G, Courtney SM, et al. Evidence for a direct association between cortical atrophy and cognitive impairment in relapsing–remitting MS. Neuroimage. 2006;30(3):891–898.
(3) Rocca MA, Battaglini M, Benedict RHB, et al. Brain MRI atrophy quantification in MS: From methods to clinical application. Neurology. 2017;88(4):403–413.
(4) Bakshi R, Thompson AJ, Rocca MA, et al. MRI in multiple sclerosis: Current status and future prospects. Lancet Neurol. 2008;7(7):615–625.
(5) Kutzelnigg A, Lucchinetti CF, Stadelmann C, et al. Cortical demyelination and diffuse white matter injury in multiple sclerosis. Brain. 2005;128(Pt 11):2705–2712.
(6) Pirko I, Johnson AJ, Chen Y, et al. Brain atrophy correlates with functional outcome in a murine model of multiple sclerosis. Neuroimage. 2011;54(2):802–806.
(7) De Stefano N, Narayanan S, Francis GS, et al. Evidence of axonal damage in the early stages of multiple sclerosis and its relevance to disability. Arch Neurol. 2001;58(1):65–70.
(8) Rocca MA, Pagani E, Ghezzi A, et al. Functional cortical changes in patients with multiple sclerosis and nonspecific findings on conventional magnetic resonance imaging scans of the brain. Neuroimage. 2003;19(3):826–836.
(9) De Stefano N, Iannucci G, Sormani MP, et al. MR correlates of cerebral atrophy in patients with multiple sclerosis. J Neurol. 2002;249(8):1072–1077.
(10) Gonçalves LI, Dos Passos GR, Conzatti LP, et al. Correlation between the corpus callosum index and brain atrophy, lesion load, and cognitive dysfunction in multiple sclerosis. Mult Scler Relat Disord. 2018;20: 154–158.
(11) The role of MR volumetry in brain atrophy assessment in multiple sclerosis: A review of the literature. Marciniewicz E, Podgórski P, Sąsiadek M, Bladowska J. Adv Clin Exp Med. 2019 Jul;28(7):989-999.